PROZESSERKLÄRUNG VOM 17.06.93 von Ursula M.

Anlass dieses Prozesses ist eine Blockade der Wilhelm-Heinrich-Brücke im Oktober 1992 in Saarbrücken. Ich soll von diesem Gericht verurteilt werden wegen "Nötigung und Aufruf zu Straftaten". Ich hoffe, über das was ich hier sage wird deutlich, worum es ging und geht. Genötigt werden Millionen von Menschen, auf Grund der HERRschenden Weltordnung, aus ihrem Land zu flüchten, wobei nur die wenigsten bis nach Europa vordringen.
Genötigt werden 800 Millionen Menschen, in absoluter Armut zu leben; 450 Millionen Menschen leiden an Hunger .
Das Konstrukt -Aufruf zu Straftaten -basiert darauf, daß die Staatsanwaltschaft mich in der Anklageschrift zur Leiterin der Blockade ernennt. Dazu ist zu sagen, daß das Unsinn ist und nichts mit der Realität zu tun hat. Stattdessen ist es so, daß mich die B. kennen, weil ich seit etlichen Jahren als Linke aktiv bin. Deshalb kam auch Krämer, der hier als Zeuge aussagen wird, bei der Blockade auf mich zu und sprach mich mit meinem Nachnamen an.
Die Justiz, die mir den Prozeß macht, ist ein Instrumentarium der herrschenden Klasse und dient dazu, die HERRschaftsverhältnisse abzusichern. Deshalb gibt es vor diesen Gerichten auch nichts zu verhandeln und nichts zu verurteilen. Es gibt keine unabhängige Justiz, das ist ein Mythos der formalen Demokratien.

Zunächst werde ich etwas zu der Blockade sagen: am 8. Oktober vergangenen Jahres fand in Saarbrücken eine selbstorganisierte antifaschistische Schülerinnendemonstration statt. Diese Demonstration wurde von Jugendlichen aus verschiedenen Schulen in Saarbrücken vorbereitet. Aus ihrem Flugblatt will ich jetzt einen Auszug vorlesen:
" Täglich werden ausländische Menschen massiv angegriffen, diese Angriffe bedrohen ihr Leben. Weil wir davon wissen, wollen und dürfen wir nicht schweigen. Wir wollen in keinem Land leben, in dem ausländische Menschen diskriminiert, angegriffen und ermordet werden. Wir set zen uns für ein menschenwürdiges Leben aller Menschen ein, egal wie sie aussehen, egal weIches Geschlecht sie haben." (soweit aus dem Flugblatt)
Die Jugendlichen hatten wie die meisten Menschen damals die Bilder von den faschistischen Angriffen auf die zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerberinnen und auf das Wohnheim von vietnamesischen Arbeitsmigrantlnnen in Rostock mitbekommen. Sie waren betroffen und wütend über diese offen rassistischen Pogrome und wollten dieser reaktionären Entwicklung nicht tatenlos zusehen.
Sie kamen zu uns ins Autonome Zentrum und fragten, ob wir ihnen bei der Vorbereitung der Demonstration behilflich sein könnten. Ich und einige andere aus dem AZ kannten einige der Jugendlichen aus der Mobilisierung gegen den Golfkrieg. Und natürlich haben wir sie mit unseren Erfahrungen und unseren Möglichkeiten unterstützt. Im Anschluß an diese Demonstration gab es eine Abschlußkundgebung, mit Redebeiträgen von den Jugendlichen. Nach Abschluß der Kundgebung fand die spontane Sitzblockade statt, woran sich etwa 100 Menschen beteiligten. Mit der Blockade haben wir auf den tagtäglichen Rassismus und auf die offen rassistischen Pogrome aufmerksam gemacht. Es wurden Flugblätter an die Autofahrerinnen verteilt , Transparente aufgehalten, Parolen gerufen und kurze Redebeiträge mit dem Megaphon gehalten. Die Reaktion der Passanten sowie der AutofahrerInnen war überwiegen positiv.
Wir hatten die Blockade von uns aus auf 20 Minuten begrenzt und sind dann geschlossen gegangen.

Weil die Pogrome in Rostock ein konkreter Hintergrund der Blockade waren will ich jetzt dazu ein paar Sätze sagen, um die Situation nochmal ins Bewußtsein zu rufen.
Mehrere Tage wurde Ende August die zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerberinnen und das Wohnheim von vietnamesischen ArbeitsimmigrantInnen in Rostock von faschistischen Horden angegriffen, d.h. das Wohnheim wurde verwüstet und in Brand gesteckt. Nur durch einen glücklichen Zufall gab es damals keine Toten.
In dem Wohnheim lebten 150 Menschen, die schon seit vielen Jahren in der ehemaligen DDR lebten und arbeiteten.
Die Polizei und alle anderen staatlichen Stellen wußten, daß zu einer faschistischen Kundgebung vor diesem Wohnheim aufgerufen worden war. Sie haben den faschistischen Terror unterstützt und gefördert. Rund 2000 Bürgerinnen und Bürger haben in Rostock den Faschisten Beifall vor Ort bekundet.
Es waren auch organisierte Faschisten vor Ort , wie z.B. Christian Worch aus Hamburg von der "Nationalen Offensive". Von den 150 Festnahmen, die es im Laufe der 3 Tage in Rostock gab, waren 100 Antifaschistinnen, die gekommen waren, um ihre Solidarität mit den ausländischen Menschen zum Ausdruck zu bringen und um die Pogrome zu beenden.
Die Polizeikräfte wurden ab dem Zeitpunkt verstärkt , als die AntifaschistInnen die Demonstration in Rostock machten. Sie wurden bereits auf dem Weg Nach Rostock von B. aufgehalten und kontrolliert. Bereits damals zeichnete sich ab, daß sich die Politiker aller Parteien für den sogenannten "Asylkompromiß" entscheiden würden. Dies wurde von einer zunehmend rassistischen Hetze in den Medien begleitet.
Die Politiker haben damals Rostock benutzt - für die faktische Abschaffung des Artikel 16 GG, für die Abschaffung des Individualrechts auf Asyl.
Nach Rostock kam es vermehrt zu Anschlägen und Überfällen von Neonazis auf ausländische Menschen. Die Bonner Politiker zeigten Verständnis für die mörderischen Pogrome und heuchelten Bedauern über die Opfer. Kinkel machte sich Gedanken um die "schlechten Exportchancen", Kohl um "das Ansehen im Ausland". Engholm bekundete sein Verständnis für "manches Ärgernis über das Verhalten von Asylbewerbern" und Seiters ließ verlautbaren, "der Unmut der Anwohner sei angesichts der unbestreitbaren Belastungen verständlich gewesen". Soviel nochmal zu der Situation, in der hier dann die Demonstration und die Blockade stattfanden.
Inzwischen ist der Artikel '6 GG abgeschafft. Ein paar Tage nach der entscheidenden Bundestagssitzung wurden in Solingen 5 ausländische Menschen von Neonazis ermordet. Seitdem ist kaum ein Tag vergangen, an dem nicht mindestens ein Angriff auf ausländische Menschen stattgefunden hat.
Die Betroffenheitsheuchelei der herrschenden politischen Klasse, wie wir sie nach Solingen erlebt haben, ist an Zynik kaum noch zu Überbieten.
Die Pogrome und der alltägliche Terror der Neonazis findet nicht im luftleeren Raum statt , sondern entfaltet sich in der Normalität staatlicher Politik. Der Normalbetrieb des Staates - Recht und Gesetz, Asyl- und Sozialpolitik - definiert und kennzeichnet, hierarchisiert und sonderbehandelt permanent entlang der Kriterien: Staatszugehörigkeit, Besitz und verwertbare Leistung. Was zählt sind die Brauchbarkeitskriterien des kapitalistischen Weltmarkts. Menschen als Material, das nach seiner Nutzbarkeit und den politischen Kosten abgewogen wird.
Der Terror der Faschisten, der staatlich institutionalisierte Faschismus, die Zustimmung oder Ignoranz von einem großen Teil der Bevölkerung, das alles ist gesellschaftliche Realität. Dieser Rechtsruck findet vor dem Hintergrund eines weltweit veränderten Kräfteverhältnisses statt und vor dem Hintergrund einer weltweiten strukturellen Krise des Kapitalismus. Es ist unabdingbar, die innergesellschaftlichen und internationalen Ursachen dieser reaktionären Entwicklung zu begreifen und dagegen eine Entwicklung einzuleiten, die reale Veränderungen durchsetzen kann. Für diese Entwicklung braucht es eine linke Gegenkraft , die internationalistisch handelt und emanzipatorische und menschliche Ziele freikämpft. Dazu ist es notwendig die Faschisierung von oben und unten zurückzudrängen.
Es braucht eine antifaschistische Haltung und Organisierung von vielen Menschen. Selbstorganisierung, Vertrauen in die eigene Kraft und Solidarität sind Elemente und unverzichtbarer Bestandteil für eine antifaschistische Bewegung. Es müssen verschiedene Ansätze und Aktionsformen gegen Rassismus, Sexismus und Faschismus in einer solchen Bewegung zusammenkommen.
Aus unserer Sicht ist es keine Frage, ob Blockaden eine mögliche Aktionsform sind - dies ist für viele Menschen so. Das hat sich z.B. bei der Abschaffung des Artikels 16 GG, nach Solingen und an vielen anderen Stellen gezeigt. Neben anderen Aktionsformen sind Blockaden ein legitimes und notwendiges Mittel.
Die Legitimität und Notwendigkeit von Widerstand ergibt sich aus der weltweiten Situation so - wie aus der Situation in diesem Land. Durch die immer offensichtlichere und drastische Zuspitzung von Ausbeutung und Unterdrückung des Menschen und der Natur weltweit, ist die Perspektive auf emanzipatorische Prozesse und ein würdevolles Leben ohne Hunger, Krieg, Ausbeutung, Unterdrückung, Rassismus und Sexismus für die Mehrheit der Menschen zu einer existentiellen Frage geworden.
Diese Perspektive nicht zu begraben heißt, sich aus den weltweit veränderten Bedingungen und den reichhaltigen Erfahrungen aus den Widerstandsprozessen neu zu orientieren und sich für diese Ziele gemeinsam zu organisieren und zu kämpfen.


SOLIDARITÄT IST EINE WAFFE!

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