Redebeitag der Aktion 3. Welt Saar

 

Liebe Freunde und Freundinnen,

Wir sind heute hier zusammen gekommen, um gemeinsam unsere Stimme zu erheben für einen Abschiebestopp und ein Bleiberecht. Dafür ist es Zeit aufzustehen.

Eine ganz normale Abschiebung der Familie Özdemir wird zum Boomerang. Als im vergangenen November, also vor fünf Monaten, die kurdische Familie Özdemir abgeschoben wurde, schien alles noch normal zu sein.
Normal – wie es eben in diesem Land so ist. Die Familie lebte 14 (!) Jahre in Deutschland, drei ihrer Kinder sind hier geboren, zwei der Kinder haben hier Abitur gemacht, die anderen Kinder gingen jeden Tag zur Schule etc., der Vater arbeitete.
Völlig normal – wie eine stinknormale deutsche – oder besser noch: saarländische – Familie.
So stinknormal, dass jeder Fernsehsender darüber eine seiner Seifenopern mit familiärem Hintergrund hätte drehen können.

Auf grausame Weise normal verlief auch die Abschiebung:
- 40 Polizisten dringen mitten in der Nacht, gegen vier Uhr früh, in die Wohnung ein und setzten Mutter, Vater und fünf Kinder fest, die Mutter wird ohnmächtig, der Vater und die Kinder dürfen keine Koffer packen, ein Polizist tritt eine Glastür ein, die ganz normale Abschiebung nimmt ihren Lauf.

Dann aber passiert etwas, was nicht mehr so ganz normal ist.
- Es gibt Proteste, es werden immer mehr Proteste und sie hören bis heute nicht auf.
- Schüler und Schülerinnen stehen auf.
- Eltern sind irritiert, können ihren Kindern keine Antwort mehr geben auf die Frage nach dem Warum?
- Auch die Eltern stehen auf und stellen ihre unbequemen Fragen öffentlich.
- Die evangelische Kirchengemeinde protestiert.
- Die Rheinische Landeskirche protestiert

Seit Wochen liefen Gespräche zwischen Präses Kock und Peter Müller.
Für die saarländische CDU scheint es normal zu sein abzuschieben, ohne die Gesprächspartner der evangelischen Kirche zu informieren.
Eine Brüskierung der evangelischen Kirche im Rheinland.
- Hunderte von Schülern und Schülerinnen machen ihrem Unmut Luft und protestieren mit deutlichen, klaren Worten gegen die Abschiebung
- Lehrer und Lehrerinnen kratzen sich am Kopf und fragen sich, wie sie diese Ungeheuerlichkeit ihren 10, 12, 14-jährigen Schülern erklären
sollen. Wie sollen sie ihnen erklären, warum ihre Mitschüler Jakub, Isaak, Abdullah, Nazifer und Kadrye Özdemir weg sind.
Deren Verbrechen bestand nur darin, in Deutschland Zuflucht vor Verfolgung gesucht zu haben und sie sind vor deutschen Waffen in Kurdistan geflohen.

Ebenso wenig normal ist das, was in der Folgezeit bis heute passiert:
Meist ebben solche Proteste nach einigen Tagen ab, spätestens nach einigen Wochen. Das Gegenteil tritt ein. Die Proteste weiten sich aus und werden zahlreicher. Gestern fand in Wadern die 20. Mahnwache für die Rückkehr der Familie Özdemir statt.

Liebe Freunde und Freundinnen,
über die Jugend wissen ja viele Bescheid: konsumorientiert, sitzen nur am Computer, kein Interesse an Politik, keine Werte jenseits von Kaufen und ähnliche Klischees mehr. Wenn 10-, 12-, 14-, 16-jährige über fünf Monate am Ball bleiben und beharrlich, mutig und aufrichtig ihre Forderung nach Rückkehr der Familie Özdemir aufrechterhalten eine Forderung, die zutiefst menschlich ist und zutiefst berechtigt ist, dann haben sie tausend mal mehr kapiert, als ihnen jeder Schulunterricht beibringen kann.

Das ist gelebte und praktizierte Zivilcourage.
Das ist die Form der Zivilcourage, die eben nicht vorkommt in den Sonntagsreden der Parteipolitiker.
Das ist Zivilcourage, die sich ausspricht gegen die Normalität der Ausgrenzung.
Das ist Zivilcourage, die neben ihrer zutiefst humanen und gerechten Botschaft auch die Vision einer gerechteren Welt hat.

Peter Müller – Abschiebungen um jeden Preis
Eine Zivilcourage, die in der selbstverliebten Inszenierung eines Peter Müller als Landesvater keinen Platz hat.
Während Peter Müller sich auf Bundesebene in Ausländerfragen gerne liberal, weltoffen und tolerant präsentiert, läßt er im Saarland die Katze aus dem Sack und präsentiert seinen unbedingten Willen zur Abschiebung.

Liebe Freunde und Freundinnen, die Familie Özdemir ist nicht abgeschoben worden, weil das Gesetz dies und nichts anderes vorschreibt. Wer dies sagt, lügt. Die Erde ist keine Scheibe, nur weil uns Parteipolitiker dies erklären.

Die Familie Özdemir ist abgeschoben worden, weil sie mehr als einen Asylnachfolgeantrag gestellt hat.
Ich weiß – ein schwieriges, langatmaiges Wort: Asylnachfolgeantrag. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern gilt im Saarland: Wenn jemand mehr als einen Nachfolgeantrag stellt, gilt dies als Versuch, sich einen längeren Aufenthalt in der BRD zu erschleichen – und letztlich ist das ein Abschiebegrund.
Wohlgemerkt, die Familie Özdemir hat nichts anderes gemacht, als völlig legal die ihr zustehenden Rechte in Anspruch zu nehmen.

Die Änderung dieses Erlasses des saarländischen Innenministeriums vom Dezember 1999 ist jederzeit möglich – auch am Wochenende. Es ist ein einfacher, dreiminütiger Verwaltungsakt – nicht mehr und nicht weniger. Entscheidend ist nur der politische Wille.

Dass dies nicht geschieht, zeugt vom unbedingten politischen Willen zur Abschiebung.

Und wer dann keine politischen und juristischen Argumente für seine Abschiebungen hat, dem bleibt nichts anderes übrig, als mit Dreck zu werfen.
Bis heute erdreistet sich das saarländische Innenministerium, die Familie Özdemir faktisch mit den Terroranschlägen vom 11.9. in Verbindung zu bringen.
Dies ist nachzulesen in einem Brief aus dem Innenministerium direkt nach der Abschiebung. Und: dies ist nachzulesen im Internet. Das Innenmministerium selbst hat im Februar seinen eigenen Brief in das Gästebuch der Internetseite zur Familie Özdemir gestellt.

ZURÜCK