Redebeitrag der Antifa Saar auf der Demonstration gegen Rassismus
am 20.4.2002 in Saarbrücken

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde!

Wir begrüßen euch auf der heutigen Demonstration und freuen uns mit euch, dass wieder zahlreiche Menschen im Saarland auf die Straße gehen, um gegen den rassistischen deutschen Staat zu protestieren.

Die wöchentlichen Mahnwachen der Waderner SchülerInneninitiative für die Rückkehr der Familie Özdemir und die Demonstration in Merzig am 31. Januar 2002 haben die saarländische Landesregierung in argen Erklärungsnotstand versetzt. Die menschenverachtende Asylpolitik der BRD und die zahllosen rassistischen Sondergesetze lassen hierzulande immer mehr Menschen aufhorchen. Abschiebungen in Folterstaaten oder Inhaftierung von Flüchtlingen in Abschiebeknästen sind dabei nur die Spitze des Eisbergs.
Das deutsche Ausländerrecht beherbergt eine Vielzahl von Paragraphen, mit denen Migrantinnen und Migranten ein menschenwürdiges Leben unmöglich gemacht werden soll. Im Ausländergesetzt reiht sich eine Kann-Bestimmung an die nächste. Der behördlichen Willkür sind so kaum Grenzen gesetzt.

Verwertbare und hochqualifizierte Arbeitskräfte werden im Zusammenspiel von Wirtschaft und Regierung mit Versprechungen ins Land gelockt. Für den Rest greifen die Abwehrmechanismen der Festung Europa.
Für diejenigen Flüchtlinge, die es bis nach Europa schaffen, ohne Opfer von Menschenhändlern oder halbregulären Polizeitruppen zu werden, beginnt oft ein mehrjähriger Leidensweg. Jenseits der Pogrome und alltäglichen rassistischen Vorurteile und Beleidigungen existiert in Deutschland eine Gesetzgebung, die einen Teil der Bevölkerung absondert. Mit scheinbarer Selbstverständlichkeit gelten für Flüchtlinge Gesetze und Bestimmungen, die weitgehend Grundrechte außer Kraft setzen:

- Die Unterbringung in Internierungslagern und die sogenannte Residenzpflicht setzen für Flüchtlinge die Freizügigkeit außer Kraft.
- Arbeits- und Aufenthaltsbeschränkungen zeigen die Unmöglichkeit der sozialen Emanzipation auf.
- Das Asylbewerberleistungsgesetz von Anfang der 90er Jahre regelt die Einschränkungen der Sozialstaatsbestimmungen für Flüchtlinge.

Das bedeutet, dass es in Deutschland eine Bevölkerungsgruppe gibt, für die soziale Grund- und Existenzrechte nicht gelten. So erhalten viele Flüchtlinge kein Bargeld, sondern statt dessen diskriminierende Einkaufgutscheine oder Fresspakete und geringfügiges Taschengeld. Auch medizinische Versorgung ist nach Ansicht der deutschen Gesetzgebung etwas, dessen Flüchtlinge nicht bedürfen. Behandlung wird ihnen nur in akuten und bedrohlichen Krankheitszuständen gewährt, Prävention oder längerfristige Therapie jedoch nicht. Dies ist die logische Schlussfolgerung eines Menschenbildes, das in Profitraten und Verwertbarkeitsstrukturen denkt. Leben, das keinen Mehrwert erzeugt, bzw. erzeugen darf, ist hierzuland offenbar vermindert schützens- und erhaltenswert.
Diese Seite der Medaille entlarvt die Mär vom ausländerfreundlichen Deutschland als diplomatische Offensive auf dem internationalen Arbeitsmarkt für ExpertInnen. Schließlich sind es die gleichen Politiker, die heute offiziell Rassismus und Nazitum verurteilen und gleichzeitig über den Verfassungsschutz zahlreiche faschistische Organisationen finanzieren. Diejenigen, die heute auf Multikulti Festivals mit ausgesuchten vorzeigeintegrierten Ausländern auftreten, haben vor etwa zehn Jahren durch Brandreden und Hetzkampagnen die Pogrome in Rostock und Mölln geschürt und ermöglicht. Die Pogrome, die sie später zum Anlass genommen haben, das Asylrecht einzuschränken und viele der heute geltenden ausländerrechtlichen Bestimmungen zu verabschieden.

Ein Beispiel für dieses Vorgehen ist die saarländische Stadt Saarlouis. Auch hier, in der heimlichen Hauptstadt mit dem französischen Flair hat es 1991 einen faschistischen Anschlag gegeben, bei dem der Flüchtling Samuel Yeboah ermordet wurde. Eines der ersten Opfer in Westdeutschland nach der Wiedervereinigung.
Auch Saarlouis hat ein Bündnis gegen Rechts, das eifrig bemüht ist, das Bild Deutschlands in der Welt aufzupolieren und die Erben des Faschismus als tolerant und friedfertig darzustellen.
Bis heute erinnert in Saarlouis jedoch nichts an den Mord vom 19. September 1991. Die Heimatstadt des vielgeehrten Kolonialkriegers und Völkermörders Lettow-Vorbeck fühlte sich in über zehn Jahren nicht genötigt, an Samuel Yeboah zu erinnern. Dies änderte sich vor ungefähr einem Dreivierteljahr, als plötzlich von einer Gedenktafel oder ähnlichem die Rede war. Was war geschehen?
Nicht Oberbürgermeister Fontaine von der CDU hatte plötzlich das Bedürfnis, sich des faschistischen Mordes zu besinnen. Statt dessen führte ein Antifaschistisches Bündnis, in dem auch wir Teil sind, am zehnten Jahrestag der Ermordung eine Gedenkkundgebung durch und befestigte im Anschluss am Rathaus eine Tafel. Bürgermeister Fontaine ließ die Tafel am selben Abend entfernen, nachdem die DemonstrantInnen abgezogen waren. Gegen den Anmelder der Kundgebung wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Sachbeschädigung eingeleitet. Inzwischen gibt es in dieser Sache einen Strafbefehl über 1200 Euro bzw. ersatzweise 60 Tage Haft, dagegen wurde auch schon Widerspruch eingelegt und es wird auf einen Prozess ankommen.
Mittlerweile gibt es im Saarlouiser Stadtrat Diskussionen, eine Erinnerung an Samuel Yeboah an nicht so exponierter Stelle zu plazieren. Es muß ja nicht gleich jedeR mit dem Kopf auf dieses unrühmliche Kapitel gestoßen werden.
Das Antifaschistische Bündnis wird jedoch weiterhin offensiv für das Gedenken an den faschistischen Anschlag eintreten und nicht außer Acht lassen, dass Saarlouis weiterhin Zentrum rassistischer Machenschaften ist.
Das Beispiel Samuel Yeboah, das der Familie Özdemir oder die zahllosen ungenannten Opfer des Asylbewerberleistungsgesetzes und anderer rassistischer Sonderregelungen lassen die Vielfältigkeit der Gründe erkennen, warum es in Deutschland notwendig ist, gegen Rassismus aktiv zu werden.
Allen liegt jedoch eines zu Grunde: Es geht darum, der Verwertungsideologie, die Menschen nach ihrer wirtschaftlichen Nutzbarkeit einstuft, ein Menschenbild der Solidarität und Gemeinsamkeit entgegen zu setzen. Denn:
Die Grenzen verlaufen nicht zwischen den Nationen, sondern zwischen oben und unten.

Bleiberecht für alle

ZURÜCK